17.06.2013

Review



Eine "diagrammatische" Ausstellung in der Künstlervereinigung Maerz in Linz versammelt dokumentarisches Material von etwa 80 Künstlerinnen und Künstlern zum Thema Performance Art. Eine außergewöhnliche Herangehensweise.
Wiltrud Hackl
Wochenlang öffnete Sibylle Ettengruber fast täglich Pakete, mit dem Postboten stand sie fast schon in einem freundschaftlichen Verhältnis, erzählt die Künstlerin. Hätte er eine Ahnung gehabt, welche Dinge in den Paketen teilweise zum Vorschein kamen, wäre sein Blick möglicherweise weniger verschwörerisch freundschaftlich denn skeptisch gewesen. Haare, Kleidungsstücke, Fotos, Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, entnahm Ettengruber, die gemeinsam mit dem Performancekünstler Boris Nieslony die Ausstellung kuratierte, nach und nach den Paketen. Objekte, die nun themenspezifisch zusammengetragen wurden, in Cluster diagrammatisch an die Wände gebracht, wie eine Versuchs- und Interpretationsanordnung. Eine Ausstellung über Performancekunst sollte es werden, unter Einbeziehung und Beteiligung möglichst vieler zurzeit tätiger Performancekünstler, ohne dass diese tatsächlich als solche zu erleben sein sollten – eine Annäherung anhand von dokumentarischen Spuren also. 76 Päckchen haben Sibylle Ettengruber, die selbst als Performancekünstlerin tätig ist, erreicht. 76 internationale Künstlerinnen und Künstler, die dem Aufruf gefolgt sind, Objekte beizusteuern, die nun in 16 Segmente eingeteilt wurden. Gliedmaßen wie Beine, Hände oder Kopf, Körperflüssigkeiten etc. Themen, die die Performancekunst als "Bewegungsmuster" zwar bestimmen, kaum aber zuvor in einer derartigen, fast wissenschaftlichen Anordnung zu einer Ausstellung zusammengefasst worden sind. In jedem so entstandenen Cluster finden sich nun Ähnlichkeiten, Abweichungen, Erinnerungen, Assoziationen  - es ergeben sich fast ethnographische Studien, die die Performancekunst nicht historisch aber dennoch in ihrer Entwicklung begreifbar, zugänglich machen. Mehr noch ergeben die Cluster in sich wieder Bilder, die auch Besuchern, die sich fernab von Performancekunst oder künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung bewegen, Assoziationsräume eröffnen. Ergänzt wurden die zugesandten Objekte mit Versatzstücken aus der Sammlung "Die Schwarze Lade" von Boris Nieslony. In diesem Archiv für Performance dokumentiert der Künstler Projekte seit 1975, nie zuvor war dieses Archiv derart ausgestellt und verwendet worden. Jedenfalls ist diese Ausstellung eine der spannendsten des Jahres  - nicht allein zum Thema Performancekunst. Die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen – Bildende Kunst, Wissenschaft, Performance in der Hand des Diagrammatikers Gerhard Dirmosers ergeben ein Gesamtkunstwerk, das keine Leserichtung vorgibt, wohl aber eine Form des Ausstellens als künstlerisch-wissenschaftliches Statement, wie es zwar international mittlerweile State of the Art ist, in Linz allerdings noch kaum betrieben wird. In dieser forschenden wie fordernden Gesamtheit wird die Ausstellung auch an anderen Orten zu sehen sein.
Die auf dem Boden Liegenden, liegen gelassenen
Künstlervereinigung Maerz
bis 14.6.2013
www.maerz.at
 
Wiltrud Hackl, freie Autorin & Journalistin, Moderatorin